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45. Sanktionstag …

 

Liebe Freunde –

 

es ist ja immer die Frage, wie weit man den Widerstand gegen das Hartz IV-System führen kann, ohne wegen des damit vom Amt verhängten vollständigen Entzuges der Lebensgrundlagen (Essen, Obdach, Krankenkasse) erpressbar zu werden …

 

Die Behörde kann es sich ja einfach machen: Sie sanktioniert bis zum Äußersten und lehnt sich dabei entspannt zurück – irgendwann wird sich der Delinquent schon „besinnen“, Unterwerfungsklauseln unterschreiben und sich gütlich lenken lassen – wenn er sich nicht völlig aus dem System verabschiedet und still in der Versenkung verschwindet. (Über das Schicksal der Total-Sanktionierten werden amtlicherseits bewusst keinerlei Erhebungen geführt. Ebensowenig wird das Thema der vielen Hartz-IV-Toten amtlicherseits irgendwie aufgegriffen.)

 

Auch in meinem Fall wären Unterwerfung oder das „mich still verabschieden“ sicherlich der beste Weg – fürs Amt!

 

Seit vorgestern Abend – dem 43sten Tag der momentan laufenden Sanktionierung – ist, so weit es mich betrifft, für dieses Problem eine erste Lösung da. Damit ich jetzt nicht Hungers sterbe und dennoch im Sinne meines Widerstandes weiter tätig sein kann, durfte ich das Hungern … abgeben.

 

Ein Freund, der selbst in prekären Verhältnissen lebt (zum Schutz seiner Person nennen wir ihn jetzt „Martin“), hat sich bereit gestellt, an meiner Stelle zu hungern und mir sein Essen abzutreten. Dies zunächst für eine Frist von 1-2 Wochen und/oder bis max. zum Verlust von 6 Kilo. Auch eine andere Betroffene hat schon ihre Bereitschaft, in solcher Form weiter zu helfen, signalisiert.

 

Es ist schwer zu sagen, wie ich da empfinde.

 

Zum einen ist da Dankbarkeit. Es hätte vielleicht auch andere Wege gegeben, mich noch einmal aus der Schusslinie zu ziehen, ohne meinen Widerstand einzuschränken – und etliches wurde in dieser Richtung in unserem Kreis auch diskutiert. Aber dieser Schritt ist der Schönste, denn er ist in vollstem Umfang ein Geschenk! Und er löst mein Wirken von meiner Person und zeigt, dass es von anderen nicht nur für gut geheißen sondern bis hin zum hungern auch mit unterstützt werden will.

 

Eine Vorstufe solcher Solidarität war schon das spontan praktizierte „Sympathiehungern“ vieler von den Erniedrigungen in Hartz IV Mitbetroffener im November 2012, für das ich nicht weniger herzlich danke. Der jetzt gegangene Schritt trägt aber nicht mehr nur symbolischen, sondern unmittelbar lebenserhaltenden Charakter. Wie in einem Staffellauf kann jetzt DAS HUNGERN weitergereicht werden. Das „Sympathiehungern“ wird zum „Staffelhungern“, so dass das Ziel vielleicht trotz aller Hürden erreicht werden kann …

 

Zum andern ist da Scham, dass so etwas nötig ist in einem System, welches sich selbst vormacht, auf der Höhe der Menschlichkeit zu sein zu sein; dass so etwas nötig ist in UNSEREM politischen System, nur weil man sein freies Menschentum behauptet.

 

Zum dritten ist da aber auch das Gefühl einer neuen Dimension von Verpflichtung, die mir das aufbürdet. Es ist ja etwas anderes, aus eigenen Kräften wirken zu können oder aus den Opfern anderer Menschen tätig zu sein. Was Letzteres bedeutet, ist unermesslich.

 

In der Hoffnung, dem irgendwie gerecht zu werden

und dem Versprechen, niemals nachzugeben

grüßt Euch - am 45. Sanktionstag und nach 43 Tagen des Hungerns:

Ralph